Tschernobyl – Ausflug in die Sperrzone

Es ist früh und kalt. Trotzdem quälen wir uns aus dem Bett als unser Wecker um kurz nach 6 Uhr verkündet, dass es Zeit ist aufzustehen.

Eine Stunde später sitzen wir mit 6 anderen Leuten, einem Fahrer und einem Guide im Minibus und hören uns an was uns am heutigen Tag erwarten wird.

Alle sind ganz still – vielleicht weil es noch so früh ist, vielleicht weil wir alle ein bisschen Respekt vor dem haben, was wir heute sehen werden. Wir wollen einen Ausflug ins „Sperrgebiet“ machen; wollen sehen was vor über 30 Jahren hier passiert ist und bei dem Gedanken daran bekomme ich wieder Gänsehaut.

Die ersten 2 Stunden passiert nicht viel: Wir müssen erstmal aus Kiew raus und knapp 100km hinter uns lassen, bevor wir die 30km-Zone erreichen. Am ersten Checkpoint müssen werden unsere Pässe kontrolliert und schon sind wir drin: Komisch, wir fühlen uns kein bisschen anders und 3-köpfige Hunde können wir auch keine ausmachen.

Unser erster Stop ist „Zalissya“, ein Ort mit ehemals 3000 Einwohnern, direkt an der Grenze der 30km-Zone. Vom Ort selbst kann man auf den ersten Blick nicht mehr viel sehen, denn die Natur hat in den letzten Jahren gute Arbeit getan: Bäume und Büsche überall.

Die Häuser sind relativ gut erhalten, doch es ist kaum noch Inventar vorhanden. Denn auch nach der Katastrophe haben Menschen in der Zone leben und arbeiten müssen. Da die vorhandenen Möbel etc. sowieso nicht aus der Zone raus transportiert werden durften (zu hohe Gefahr dass das auch strahlen würde…), haben Soldaten, Reservisten und „Freiwillige“ die in der Zone arbeiten mussten, nach und nach die vorhandenen Häuser leer geräumt und das Inventar entweder für ihre eigenen Quartiere benutzt oder zerstört um sicher zu stellen, dass niemand auf die Idee kommen könnte in sein altes Zuhause zurück kehren zu wollen.

Aber erstmal ein kleiner Rückblick darauf, was in hier vor 32 Jahren geschehen ist: Was als Simulation eines totalen Stromausfalls im Kernkraftwerk Tschernobyl gedacht war, endete am 26.April 1986 in einer nuklearen Katastrophe: Block Nr.4 explodierte und geriet in Brand. Nachdem der Versuch Kühlwasser in den Reaktorkern zu pumpen nicht gelang, versuchte das Militär aus der Luft Blei, Sand und Lehm ins Feuer zu werfen und es damit einzudämmen. Doch durch diese Abdeckung erhöhte sich die Temperatur weiter und mehr und mehr radioaktives Material wurde freigesetzt. Erst 10 Tage später, als der Reaktor mit Stickstoff gekühlt wurde, wurde der Brand unter Kontrolle gebracht.

Die Regierung versuchte Tage lang den Unfall geheim zu halten. Doch nachdem in Schweden ein Kernkraftwerk Alarm aufgrund erhöhter Radioaktivität auf dem Gelände ausgelöst hatte und das Kraftwerk dort als Verursacher ausgeschlossen werden konnte, richtete sich der Verdacht aufgrund der aktuellen Windrichtung auf einen Unfall in der Sowjetunion.
Am gleichen Abend gab man bekannt, dass es zu einem Unfall in Tschernobyl gekommen sei und die Medien aus ganz Europa stürzten sich auf die Geschichte und begannen zu recherchieren.

Ein paar Tage später wurde rund um den explodierten Reaktor erst eine 10km-Zone eingerichtet und später eine 30km-Zone. Alle Menschen aus diesem Umkreis des Reaktors wurden evakuiert, jedoch nicht über die Gefahr in Kenntnis gesetzt, in der sie sich die letzten Tage und Wochen befunden hatten und die viele das Leben kosten würde.

Inzwischen sind fast 32 Jahre vergangen und die Strahlung immer noch vorhanden – wenn auch wesentlich geringer.

Unser nächster Stop ist „Radar-Duga-1“- eine ehemalige geheime Radar-Station. Die 150 x 750m große Station war das Herzstück der sowjetischen Atompolitik und dank der Nähe zum Kernkraftwerk musste man sich hier keine Gedanken über Stromversorgung ohne Unterbrechung machen. Mit Hilfe der Radarstation sollten befürchtete Atomraketen frühzeitig bemerkt und Maßnahmen ergriffen werden können.

Früher wohnten ca. 2000 Menschen hier: nicht nur Soldaten und deren Familien, sondern auch Wissenschaftler und Ingenieure.

Doch auch dieses Gelände, nur 9km vom Kernkraftwerk entfernt, wurde evakuiert und niemand kehrte hierher zurück…
Nach der Katastrophe wurden im 30km Radius rund um den Reaktor Häuser aus Holz komplett abgerissen und in der Erde vergraben (so zum Beispiel bei dem gesamten Ort Kopachi).
Unter diesen Haufen sind die Reste der Häuser begraben
Das einzige Gebäude was von Kopachi übrig blieb, ist der Kindergarten und dieser bietet eine gute Kulisse für einen Horrorfilm, oder? Da das Gebäude aus Beton bestand, wurde er mit einer Mischung aus Wasser und Chemikalien abgewaschen und damit dekontaminiert. Das die gefährliche Strahlung mit dem Wasser im Boden versickert, wurde erst später bedacht…

 

In der ganzen Zone gibt es Orte, an denen die Strahlung noch stark zu spüren ist. Nicht für uns, aber für die Geigerzähler. So schlagen diese z.B. in der Nähe eines Baums vor dem Kindergarten stark aus. Vielleicht weil hier Wasser (inkl. Chemikalien) „entsorgt“ wurde, mit dem der Kindergarten vorher dekontaminiert wurde und diese Strahlung nun in den Wurzeln des Baums „gespeichert“ ist?!

Nach dem Besuch des Kindergarten können wir von weitem eine silberne Kuppel erkennen: wir sind also fast da.

Plötzlich sind wir so nah dran am Unglück von damals. Hier ist es also passiert! Heute sieht man vom Reaktor selbst nicht mehr viel, denn dieser wurde komplett ummantelt, damit er keine Strahlung mehr abgeben kann. Diese Konstruktion wurde für die Dauer von maximal 20-30 Jahren errichtet und zeigte nach wenigen Jahren bereits Schäden. Inzwischen wurde eine neue Hülle beschlossen und mit Spendengeldern gebaut. Die neue Kuppel soll den zerstörten Reaktor für die nächsten 100 Jahre sicher umgeben, doch bei dem Gedanken dass die Strahlung auch dann immer noch aktiv und bei falscher Lagerung verheerende Folgen haben kann, wird mir richtig schlecht. Die Strahlung selbst sieht oder spürt man hier nicht (mehr) und genau das, war vor fast 32 Jahren vermutlich auch der Grund warum mit der ganzen Situation so stiefmütterlich umgegangen werden konnte.

Diese ganzen Eindrücke wollen erstmal verarbeitet werden, also gönnt unser Guide uns eine Pause. Bevor wir allerdings an unser Essen kommen, müssen wir erst durchgecheckt werden: Hat sich vielleicht doch Strahlung in das Profil unserer Schuhe schleichen können?

Auf Strahlung checken

Nein wir sind „sauber“ und dürfen durch!

Gestärkt und aufgewärmt können wir die Tour anschließend fortsetzen.

Unser nächster Stop ist „Prypiat“, die Stadt die dem Kernkraftwerk am nächsten liegt. Damals wurden erst nach 36 Stunden alle 50.000 Einwohner evakuiert. Den Einwohnern wurde die Gefahr verschwiegen, die von dem Unfall ausging und von der Regierung kam nur die Information dass es reine Vorsichtsmaßnahmen sei die Stadt für wenige Tage zu verlassen, die Situation sei unter Kontrolle und die eigentliche Gefahr vorüber. Also sollten sie nur wenig Gepäck mitnehmen. Kein dummer Schachzug, denn so wurde keine Panik verbreitet und die Leute nahmen nicht ihren gesamten Hausrat mit. Mit insgesamt 13000 Bussen wurde der gesamte Ort abtransportiert und in vorübergehende Notlager gebracht. Nach einigen Wochen, wurden die „Flüchtlinge“ aus Prypiat auf unbestimmte Zeit in Gastfamilien untergebracht.

Zu dem Zeitpunkt ahnte keiner von ihnen das sie nun für immer ihr Zuhause verlassen und nie wieder zurückkehren würden.

Nach der Evakuierung begannen die Arbeiten am Reaktor: die Gefahr sollte eingedämmt, das Gebiet „gesäubert“ und der Reaktor versiegelt werden. Hierzu wurden Soldaten und Reservisten heran gezogen, die die “Wahl“ zwischen >Arbeit in der verseuchten Zone< und >Jahre im Gefängnis< hatten – Willkommen im Kommunismus. Jeder musste so lange arbeiten, bis er die vorgeschriebene Dosis an Strahlung abbekommen hatte und durfte erst dann wieder gehen. Bei einigen war die Dosis nach wenigen Minuten erreicht (wenn sie nah am Unglücksort arbeiteten), andere konnten Wochen oder Monate arbeiten bevor sie Ihre Dosis erreicht hatten. Auf dem gesamten Reaktorgelände wurden 300.000 m³ kontaminierte Erde abgetragen, in Gräben geschoben und mit Beton versiegelt.

Bis zum Unfall galt Prypiat als Vorzeige-Stadt der Sowjetunion: die Regierung hatte sich viel Mühe gegeben den Ort heraus zu putzen und zeigte ihn gerne Besuchern, Journalisten oder Regierungschefs anderer Länder. Die Häuser waren modern, es gab schöne Parks, gut gefüllte Regale in allen Supermärkten, ein Stadion, Kinos, Restaurants, gute Schulen und Kindergärten und überall blühte das Leben. Keine Spur von der Nahrungsmittelknappheit oder den kahlen Plattenbauten die sonst in der Sowjetunion üblich waren.

Damals und Heute

Während in den Randgebieten der 30km-Zone inzwischen wieder Menschen wohnen (nicht ganz legal..), wird Prypiat eine Geisterstadt bleiben: der Vergnügungspark wurde nie fertig gestellt geschweige denn eröffnet

Das Stadion war kaum genutzt; in diesem Schulhof und der Sporthalle war es früher wahrscheinlich so laut, dass wir nicht einfach am Rand stehen und uns unterhalten könnten.

Ehemaliges Stadion

Die Stadt die einst voller Leben war, bricht langsam in sich zusammen. Es sieht aus als hätte hier ein Erdbeben gewütet, doch das ist nur der Lauf der Natur: Das Dach geht im Laufe der Zeit kaputt; Regen und Frost zerstören Mauerwerk und Fundament und letztendlich bricht alles zusammen.

Trotz Strahlung und trotz eisiger Temperaturen haben wir während unserer Tour trotzdem Leben entdeckt: wir haben aus sicherer Entfernung einen kamerascheuen Wolf entdeckt, einen seelenruhigen Elch gesehen und einen Fuchs, der das Kameralicht liebte!

Unser Fazit : Der Tag war lang und voller Eindrücke, Informationen und Emotionen. Unser Guide konnte mit dem ein oder anderen Irrglauben aufräumen, denn bevor wir die Tour starteten waren die meisten Kommentare „Passt bloß auf das ihr nicht verstrahlt werde!“ 😀

Die Strahlung ist noch vorhanden, allerdings haben wir während unserer Tour durch die Zone genauso viel Strahlung aufgenommen, wie auf einem einstündigen Flug oder 3600-fach weniger als bei einem CT.

Falls jetzt das Interesse geweckt wurde selbst so eine Tour zu unternehmen, können wir euch unseren Touranbieter nur empfehlen! Wir selbst spielen schon mit dem Gedanken irgendwann eine zweitägige Tour durch die Zone zu machen, da man dann noch mehr Zeit für noch mehr Informationen hat.

Ein Gedanke zu „Tschernobyl – Ausflug in die Sperrzone

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